
Über 60 Schlösser und Burgen säumen die 780 Kilometer lange Urlaubsroute „Burgenstraße“ zwischen Mannheim und Bayreuth. Viel entdecken lässt sich hier aber nicht nur kulturell und geschichtlich. Auch kulinarisch hat die traditionsreiche Ferienstraße einiges zu bieten. Und da geht es ebenfalls fast immer um Tradition, Innovation und regionale Identität – nur eben in Form von Speisen und Getränken. Beginnen wir unsere Exkursion für den Gaumen in Schwetzingen.
Schwetzingen ist berühmt für den Spargelanbau. Es gibt sogar Führungen zum Thema "Spargel in der Kunst“ und jedes Jahr im April zum Saisonauftakt einen Volkslauf durch den Schlossgarten der ehemaligen Residenz des Kurzfürsten von der Pfalz. Bis zum Ende der Spargelsaison, traditionell am 24. Juni, dreht sich in Schwetzingen alles um die „Königin der Gemüse“. Ursprünglich markierte der Lauf das Ende der Saison. Damals hielten die Läufer die weißen Spargelstangen wie Staffelstäbe in der Hand und liefen damit über die Spargelfelder.
Der Heidelberger Studentenkuss ist eine süße Spezialität mit einer ebensolchen Botschaft. Erfunden hat sie 1863 der Chocolatier Knösel. Mit dem Schokoladenkonfekt in Talerform konnten Studenten jungen Damen ihre Liebe offenbaren, ohne dass die Gouvernanten Anstoß nehmen konnten - so will es zumindest die Legende. Im Zeitalter von Social Media ist das ohnehin nicht mehr nötig. Schmeckt aber dennoch. Der Heidelberger Studentenkuss wird heute noch nach Originalrezept hergestellt und ist im Café Knösel oder im Heidelberger Zuckerladen erhältlich.
Weiter führt die kulinarische Reise auf der Burgenstraße am Neckar entlang nach Eberbach. Das Städtchen mit knapp 15.000 Einwohnern ist weltweit bekannt durch die Viktoria-Torte. 1962 kreierte Konditormeister Heiner Strohauer III. die Torte, inspiriert von einem Orangen-Dessert, das er bei einem Festbankett im Grand Hotel Stockholm im Rahmen einer Konditoren-Tagung der schwedischen Königsfamilie kostete. 1963 wurde die Torte erstmals per Luftpost an Queen Elizabeth II. in den Buckingham-Palast geschickt, die per Brief dankte. Immerhin ist die Torte nach ihrer Urururgroßmutter Viktoria benannt (nein, nicht die berühmte Königin, sondern deren Mutter). Eine Hauswirtschaftslehrerin, Johanna Nedden, löste den Versandtrend aus, als sie 1962 eine Torte nach Emden an ihre Cousine schicken ließ. Gefroren in einer Kaffeedose verschickt, kam sie unversehrt an; das war der Startschuss für den weltweiten Tortenversand. Die Torten werden tiefgefroren in Styropor verpackt sogar nach Japan und Australien versendet.
30 Kilometer weiter, ebenfalls am Neckar gelegen, gibt es in Gundelsheim ein kulinarisches Kuriosum zu entdecken, die Essigpraline. Die Idee entstand, als Erich Steinle, Geschäftsführer der Weingärtnergenossenschaft Gundelsheim-Neckarsulm, 1994 an den Konditormeister Eberhard Schell herantrat. Die Genossenschaft hatte überschüssigen Weinessig und suchte eine süße Speise als Dessert für ein „Essigmenü“. Schell kombinierte Riesling-Essig mit Schokolade und kreierte so die erste Essigpraline der Welt, das „Essigschleckerle“. Die harmonische Verbindung von säuerlichem Essig und süßer Schokolade ist längst patentiert, und der geschäftstüchtige Konditor hat noch mehr unkonventionelle Ideen auf Lager. Sein Tipp bei Sonnenbrand: einfach Schokolade mit hohem Kakaobuttergehalt auf die Haut auftragen. Schell bietet übrigens auch Pralinenseminare an.
In Heilbronn, dem nächsten Stopp entlang der Burgenstraße, wird der Wein nicht in Pralinen abgefüllt, sondern pur getrunken. Heilbronn ist die älteste Weinstadt in Württemberg. Eine Schenkungsurkunde von 766 an das Kloster Lorsch belegt, dass Heilbronn schon damals Wein anbaute. Diese lange Tradition prägt die Stadt bis heute. Ein einzigartiges Gemeinschaftsprojekt des Weinguts G.A. Heinrich und der Genossenschaftskellerei Heilbronn ist der Heilbronner Bürgerwein. Der Erlös fließt in die Pflege des Weinpanoramawegs, eines sechs Kilometer langen Wanderwegs mit spektakulärem Blick auf die Stadt. Ein Besuch in der Wein Villa, einem Zusammenschluss von zwölf namhaften Weingütern und der Genossenschaftskellerei, ist ein Klassiker am Rande der Innenstadt. Sie wurde als „Haus der Baden-Württemberg Weine“ ausgezeichnet und bietet eine Vinothek und gehobene Küche mit mediterranem Flair. Hier kann man die Vielfalt Heilbronner Weine, von trockenem Trollinger bis süßen Gewürztraminer, in urbaner Umgebung erleben.
Nächster kulinarischer Stopp auf der Tourismusroute ist Schwäbisch Hall, gut eine Fahrstunde östlich von Heilbronn. Hier haben sich 1988 etwa 1.500 Landwirte aus der Region Hohenlohe zur Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH) zusammengeschlossen. Sie kontrolliert die gesamte Wertschöpfungskette des Schwäbisch-Hällischen Landschweins – von der Zucht über die Schlachtung bis zur Vermarktung – und stärkt so die lokale Wirtschaft durch Direktvertrieb und innovative Projekte wie den Regionalmarkt Hohenlohe.
Und weiter geht es nordöstlich bis nach Rothenburg ob der Tauber zur Verkostung von Schneeballen. Ihre Geschichte zeigt, wie ein einfaches Bauerngebäck zum Symbol einer Stadt wurde und damit Touristen weltweit fasziniert. Überraschend ist ihre Vielseitigkeit, von klassisch bis ausgefallen, und ihre lange Haltbarkeit, die sie zum perfekten Mitbringsel macht. Die Schneeballen haben ihre Wurzeln im Mittelalter. Ursprünglich waren sie ein festliches Gebäck, das zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten, Kirchweihfesten oder Erntedank in Franken serviert wurde. Damals wurden sie oft als „Sträußchen“ bezeichnet, da sie an einen Blumenstrauß erinnerten. Die ersten Schneeballen entstanden in der bäuerlichen Küche, wo überschüssiger Teig von Brot oder Kuchen verwendet wurde. Restteig wurde in Streifen geschnitten, zu einer Kugel geformt und in heißem Fett frittiert.
„Heiß und fettig“ - das passt auch zum nächsten Stopp auf der Burgenstraße. Es geht um die Ansbacher Bratwurst; ein kulinarisches Erbe, das durch strenge Qualitätsvorschriften geprägt ist. Am besten erschließt sich dieser Genuss bei einer Bratwurstführung, die Geschichte und Geschmack vereint. Hier erfahren die hungrigen Gäste, dass die Ansbacher Bratwurst erstmals im Ansbacher Stadtbuch von 1430 urkundlich erwähnt wird. Dort heißt es: „drey protwurst sullen ein pfunt wegen“, was zeigt, dass bereits damals das Gewicht genau vorgeschrieben wurde. Die Bratwurst besteht aus magerer Schweineschulter und durchwachsenem Schweinebauch (ohne Sehnen, Knorpel oder Schwarten). Gewürzt wird sie mit einer Mischung aus Salz, Pfeffer, Piment und vor allem Majoran, der ihr die charakteristische Note verleiht. Jeder Metzger hat ein leicht variierendes Geheimrezept. Ein Alleinstellungsmerkmal ist der Bändeldarm vom Schwein, der eine dünne Fettschicht mitbringt. Diese „Fettnaht“ macht die Bratwurst saftig und ist typisch.
Nach dem Hauptgang folgt das Dessert, und das in einer Stadt, die ebenso berühmt für ihre Bratwürste wie für ihre Lebkuchen ist. Richtig, wir sind in Nürnberg angekommen. Die Nürnberger Lebkuchen sind weit mehr als ein Weihnachtsgebäck – sie sind ein Stück Weltkulturerbe mit einer Geschichte, die von Mönchen über Pfeffersäcke bis ins Weltall reicht: 2008 entwickelte die Firma Lebkuchen Schmidt spezielle Lebkuchen für die Deutsche Raumfahrtagentur (DLR), die im Weltall getestet wurden. Sie waren vakuumverpackt und krümelfrei, um die hochempfindlichen Geräte nicht zu beschädigen. Eltern mit kleinen Kindern hätten sicher auch nichts gegen krümelfreie Lebkuchen einzuwenden. Neben Zimt und Nelken enthält die Gewürzmischung oft Kardamom, Piment oder sogar Koriandersamen, die im Mittelalter teurer als Gold waren. Manche Bäcker nutzen bis zu zwölf Gewürze für die Lebkuchen – das und noch mehr erfahren Gäste bei einer Lebkuchenführung. Und backen kann man natürlich auch!
Fehlt noch die dritte große kulinarische Tradition Frankens: das Bier. Und damit wären wir beim nächsten kulinarischen Stopp entlang der Burgenstraße. In Seßlach gibt es das Kommunbräu. Das ist mehr als ein Bier – es ist ein Stück lebendiger Geschichte. Kaiser Ludwig der Bayer verlieh Seßlach 1335 das Stadtrecht und damit das Braurecht, um städtische Ausgaben wie den Bau der Stadtmauer zu finanzieren. Seitdem wird hier unter kommunaler Regie Bier gebraut – eine Kuriosität, die Seßlach einzigartig macht. Alle vier Wochen wird die Pfarrgasse zur „Bierstraße“. Einwohner und Besucher kommen mit Kannen und Fässern per Auto oder Traktor, um frisches Bier direkt vom Braumeister abgefüllt zu bekommen. Schilder „Frei nur für Bierabholer“ markieren die Straße.
Geht Lebkuchen und Bier? Aber ja! Den Beweis liefert der vorletzte Stopp der Genussreise auf der Burgenstraße. In Kulmbach beherbergt der Kulmbacher Mönchshof gleich drei Museen, die sich kulinarischen Themen widmen: das Bayerische Brauereimuseum, das Bayerische Bäckereimuseum und das Deutsche Gewürzmuseum. Zusammen mit dem Mönchshof-Bräuhaus bilden sie ein kulturell-kulinarisches Zentrum, das Genuss, Handwerk und Geschichte erlebbar macht. Der Besucht lohnt sich auch mit Kindern, denn es gibt viel anzufassen und zu riechen sowie altersgerechte Themenführungen, beispielsweise „Die Reise des Pfeffers“. Direkt neben den Museen liegt das Mönchshof-Bräuhaus, ein historisches Gasthaus mit fränkischer Küche. Hier gibt es Spezialitäten wie Kulmbacher Bierfleisch, Schäufele, Brot-Bier-Suppe kombiniert mit Kapuziner Weißbier oder dem Kult-Weihnachtsbier mit Rauchmalz.
Die kulinarische Reise auf der Burgenstraße, die in Schwetzingen und Heidelberg begonnen hat, endet in Bayreuth mit einem Paukenschlag – nicht auf dem Wagnerhügel, sondern aus der Bäckerei Lang. Hier entstand 2018 das Thermalbrot – Ergebnis der Zusammenarbeit mit der Lohengrin Therme. Dr. Karl-Heinz Conrad, Badearzt der Therme, schlug Lang vor, das mineraltreiche Thermalwasser der hiesigen Heilquelle für Sauerteig zu nutzen, um so ein gesundheitsförderndes Brot zu schaffen. Vom Konzept bis zur Markenanmeldung verging nur eine Woche – ein ungewöhnlich schneller Prozess. Das Thermalbrot verbindet also nicht nur Bad & Backen. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Tradition, Innovation und regionale Identität verbinden lassen. Wohl bekomm’s.
Über den Autor*Innen

Thomas Rentschler
Thomas Rentschler ist im Schwarzwald aufgewachsen und hat nach einer kaufmännischen Ausbildung bei einer Nachrichtenagentur und auf der Akademie für Publizistik in Hamburg das journalistische Handwerkszeug erlernt und anschließend sowohl als festangestellter Reporter und Redakteur sowie freier Mitarbeiter unter anderem für die Nachrichtenagentur dpa, Zeitungen (Financial Times Deutschland, taz, WAZ, Welt am Sonntag), Zeitschriften (Focus, MAX, Wirtschaftswoche), Hörfunk (Deutschlandfunk, Korean Broadcasting System, NDR, Radio Zürisee, WDR) und TV (MDR) im In- und Ausland (Schweiz, Spanien u