Genuss am Fluss

Churfranken lockt Urlauber und Wochenendausflügler, das älteste Gasthaus Riesen in Miltenberg - (c) Klaus Pfenning

Nur eine knappe Autostunde östlich von Frankfurt liegt die Tourismusregion Churfranken. Entlang des Mains zwischen Aschaffenburg und Wertheim erwarten Besser-Esser und -Trinker Genüsse höchst unterschiedlicher und manchmal auch sehr überraschender Art.

Ein süßlicher, etwas undefinierbarer Geruch liegt in der Luft. Ein bisschen wie aus einer Brauerei. Und doch nicht ganz. Zumal es im Ort gar keine Brauerei gibt. Dennoch: die Nase trügt nicht. Es riecht nach Gerstenmalz und ein bisschen auch nach Rauch. Aus dem Malz wird allerdings kein Bier gebraut. Sondern Whisky destilliert. In Rüdenau, einem Ortsteil von Miltenberg, am Rande des Odenwalds. Whisky aus dem Odenwald. Eine buchstäbliche Schnapsidee. Oder doch nicht.

Dem Rüdenauer Andreas „Andi“ Thümmler muss es anfangs so vorgekommen sein, als er vor knapp zehn Jahren den Entschluss fasste, seine eigene Distillery nach schottischem Vorbild zu gründen. Sein Geld hatte er bis dahin als Investmentbanker verdient, als Spezialist für Firmenübernahmen und Fusionen. Und dies auf der ganzen Welt. So manchen Abend saß er in einer besseren Hotelbar, in New York oder in Hongkong, und machte Bekanntschaft mit gefühlt unzähligen Whiskys.

Thümmler hatte das Geld, sein irischer Whisky-Freund und Master Distiller David Hynes das Know-how. Der Investmentbanker investierte mehr als zehn Millionen Euro, um eine aufgegebene Textilfabrik in eine Whisky-Destille zu verwandeln. Und dies nach der Devise „Warum kleckern, wo es sich auch klotzen lässt.“ Den Namen hatten sie schnell: St. Kilian klingt irgendwie Irisch oder Schottisch, ohne die Wurzeln zu verleugnen. Schließlich ist der Heilige Kilian so eine Art Regionalheiliger dieses Teils Frankens.

Fast das gesamte Equipment stammt aus Schottland, auch die getorften Malze für die rauchigen Brände kommen von der Insel. 2016 starteten Thümmler und Hynes unter dem Motto „Echt. Überraschend“ die hochautomatisierte Produktion. Für die Reifung hat er seither rund 700 gebrauchte Fässer aus der ganzen Welt herbeischaffen lassen – Fässer, in denen früher Rotwein, Sherry, Port oder manch anderes heranwuchs. Nach schottischer Tradition kommen die Brände frühestens nach drei Jahren in den Handel.

„Wir benutzen überwiegend kleinere Fässer, die ihre Aromastoffe schneller abgeben als große“, erklärt Andreas Thümmler diesen für Whisky doch recht überschaubaren Zeitraum. Preislich lehnt er sich äußerst selbstbewusst an seine Vorbilder auf den britischen Inseln an. Und dies mit bisher gutem Erfolg: rund eine Million Flaschen setzt er pro Jahr ab, ausschließlich Singe Malts. Damit dominiert er den Markt für deutschen Whisky zu etwa drei Vierteln. „Und dies ist erst der Anfang“, gibt er die Richtung vor. „Think small“ ist nicht Thümmlers Ding. Bei Wettbewerben rund um den Erdball, von London über San Fransico bis Singapur, räumte der Odenwälder Whisky seither eine Auszeichnung nach der anderen ab.

Ohnehin scheinen die Churfranken ein experimentierfreudiges Völkchen zu sein. Nebenerwerbswinzer Reinhold Hillerich aus Erlenbach baut seit einigen Jahren rote wie weiße Trauben zu Portwein, den er allerdings nach EU-Recht so nicht nennen darf. Die Idee zu der süßen Spezialität kam ihm bei einer Reise ins portugiesische Douro-Tal, wo es wie in Erlenbach viele terrassierte Steillagen gibt. Etwa 3.000 Flaschen produziert er pro Jahr, etliche davon tauchen auf der Karte von Spitzenrestaurants quer durch die Republik auf. Die Fässer seiner Raritäten stammen vom Château d’Yqem, der südwestfranzösischen Süßweinikone schlechthin.  

Häckerwirtschaft statt Gourmettempel
Mit Michelin-Sternen ausgezeichnete Köche sucht man in Churfranken vergeblich. Wirklich tragisch ist das nicht, zumal es auf ganz unterschiedlichen Stufen jede Menge Alternativen gibt. Das fängt mit den Häckerwirtschaften an, fränkischen Variante von Straußen- oder Besenwirtschaften. Wie ihre Brüder im Badischen oder im Schwäbischen öffnen sie jeweils nur für wenige Wochen im Jahr. Ein kleiner Kalender im Kartenformat hilft dabei, nicht den Überblick zu verlieren.

Häckerwirtschaften sind so etwas wie die Seele Churfrankens, dort trifft man sich, gerne auch schon mittags, plaudert, trinkt und isst. Leiterchen zum Beispiel: fetten Bauchspeck (der aber gar nicht so fett schmeckt), meist mit Kartoffelpüree, Sauerkraut und kräftigem Fränkischen Landbrot serviert. Wer es um einiges feiner mag, der geht nach Großheubach in die „Krone“ oder nach Bürgstadt in den „Stern“. Der benachbarte „Adler“ hat sich „Slow Food“ auf die Fahnen geschrieben. „Ich möchte persönlich wissen, was ich aus Wiese, Weide, Wald und Wasser auf den Teller bringe“, postuliert es der Küchenchef.

Dorfgasthäuser mit angeschlossener Metzgerei – oder auch umgekehrt – sind heutzutage selbst auf dem Land ein Auslaufmodell. In Churfranken gibt es sie noch. In Rüdenau etwa, im „Stern“ nur ein paar Gehminuten von der Whiskey-Brennerei entfernt. Metzgereimeister Dieter Baumann steht hier noch selbst am Herd und kocht hier zum Beispiel Fränkischen Sauerbraten mit Dörrobst-Allerlei und hausgemachten Kartoffelklößen. „Manchmal gehe ich in den Metzgerstiefeln aus der Wurstküche kurz rüber an den Herd“, lacht der 50-Jährige. Wer die Paar Stufen hinauf zur Gaststube überwunden hat, sieht links in den kleinen, von außen nicht erkennbaren Verkaufsraum der Metzgerei. Sein Fleisch bezieht Baumann aus dem Hohenloher Land, einer der Topadressen für alles mit vier Beinen.

Gerste meets Wein
In kaum einer anderen Region kommen sich Weinbau und Brauereikunst so nahe wie in Churfranken. Zwischen Großwallstadt im Westen  und Bürgstadt im Osten gibt es rund 60 Winzer, die zusammen eine Fläche von 200 Hektar bewirtschaften. Von West nach Ost verschiebt sich die Weinfarbe dabei immer mehr von Weiß nach Rot; zugleich werden die Qualitäten zunehmend besser.

Star der Szene ist zweifellos Paul Fürst in Bürgstadt, ein bescheiden auftretender Mann von Ende sechzig. Seit Jahrzehnten bereits erzeugt mit die besten deutschen Spätburgunder, die selbst Vergleiche mit Großen Gewächsen aus dem Burgund nicht zu scheuen braucht. Fürst hat der gesamten Region einen Schub verliehen, weinbautechnisch wie touristisch. Allein im beschaulichen Bürgstadt mit seinen gerade einmal 4.000 Einwohnern gibt es heute fast zehn eigenständige Winzer.

Zehn Fahrradminuten weiter gibt es mit der Brauerei Faust mitten in der Miltenberger Altstadt eine der ältesten Braustätten der Region. 1654 gegründet hat sie sich in den letzten Jahrhundert ständig erweitert, wegen des sehr begrenzten Platzangebots aber nahezu ausschließlich in die Höhe. Wer es zu Fuß hinauf in die Turmstube schafft, der muss gut zu Fuß sein.

Eine Etage tiefer wurden gerade mit einem Hubschrauber neue Reifetanks eingeflogen. „Das ist eine riesige Herausforderung die Statik des alten Gebäudes“, seufzst Firmenchef Johannes Faust. Insgesamt rund 500 Tonnen lasten auf den Fundamenten. Ganz unten lagert im Eiskeller in kleinen Holzfässern der „Eisbock“. Das intensiv nach Malz und Karamell schmeckende Bier gefriert im Winter und ist mit einem Alkoholgehalt von 12  Prozent eines der stärksten Gebräue der Republik.

Bäcker und Metzger: Klein, aber fein
Eine weitere Besonderheit der Genussregion Churfranken: es gibt überdurchschnittlich viele selbstständige kleine Metzger und Bäcker. Einer von ihnen ist Volker Mayer, der in Miltenberg und Umgebung sieben Filialen betreibt. Zusätzlich zu seinem Meistertitel hat vor einigen Jahren an der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim den Titel eines Brotsommeliers erworben, als einer der Ersten in Deutschland.

Welches Brot passt am besten zu welchem Wein, zu welchem Bier, zu welcher Wurst, zu welchem Käse lautet die zentrale Frage. Die Antwort darauf ist sehr komplex und nimmt fast 20 Tage Studiererei in Anspruch. Dass ein Brotsommelier auch in seiner eigenen Backstube auf höchste Qualität setzt, ist geradezu selbstverständlich. Sein Fränkisches Bauernbrot setzt er natürlich mit eigenem Sauerteig an, der erst mal 24 Stunden lang ruht. Ganze drei Tage ruht sogar der Weizenteig für sein Baguette. „Da kommt Mehl, Wasser und Salz rein – und sonst gar nix“, sagt er mit einem Seitenhieb nicht nur auf die Discount-Produkte.

Beim Roggenbrot ist Mayer ein absoluter Freund der Kruste: „Je mehr Kruste ein Brot hat, desto mehr Aroma.“ Rund 80 Prozent aller Geschmacksstoffe steckten darin. Backwaren aus der Tiefkühltruhe vom Supermarkt sind dagegen für ihn ein absolutes No-Go. „Da krieg ich einfach Bauchschmerzen davon“, hat er in einem Selbstversuch festgestellt.

Dann doch viel lieber das eigene Selbstgebackene, dazu vielleicht ein Leiterchen, gepaart mit einem Glas Spätburgunder von Paul Fürst oder einem Halben vom Brauhaus Faust. Unter hinterher als krönender Höhepunkt: einen Single Malt aus der St. Kilians Destille in Rüdenau. Genuss pur!

Weitere Informationen churfranken.de

Über den Autor*Innen

Unser Autor Klaus Pfenning

Klaus Pfenning

Klaus Pfenning wuchs am Rande des Odenwalds auf – und damit eher mit Apfelwein. Erst im frühen Erwachsenenalter wurde ihm bewusst, dass sich auch aus anderen Früchten wunderbare Weine herstellen lassen. Vor allem aus Trauben, weißen wie roten. Vor 30 Jahren verlegte der Naturliebhaber seinen Lebensmittelpunkt an die Badische Bergstraße. Von dort aus kann er nicht nur den heimischen Winzern bei der Arbeit zuschauen. Sondern auch hinüberblicken in die Pfalz und nach Rheinhessen. Dem wachsenden Interesse am Wein konnte das nicht schaden.